Die Zukunft der Medizin

Alpbacher Gesundheitsgespräche diskutieren Genetik und Gehirnforschung

Die Alpbacher Gesundheitsgespräche identifizierten drei Quellen, aus denen sich die zukünftige Entwicklung der Medizin speisen wird: die Humangenetik, die Gehirnforschung und die Bioinformatik, die jene riesigen Datenmengen handzuhaben hätte, die aus den ersten beiden Quelle strömen.

Bild: Congress Center Alpbach
Der Schrödinger-Saal im Congress-Center Alpbach - Schauplatz der Plenarvorträge der Gesundheitsgespräche

 

Die dazu eingeladenen Keynote Speakers waren hochkarätig. Han Brunner, Leiter des Departments für Humangenetik der Universität Nijmegen konnte mit viel rhetorischem Witz zeigen, das schnelle Antworten auf Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit den Ergebnissen der genetischen Forschung nicht immer durchdacht sind. Es könne, so einer der Schlüsse, den Brunner zog, durchaus sinnvoll sein, die Diagnose einer genetisch bedingten Erkrankung bekannt zu geben, auch wenn keine Therapie dafür bekannt sei – etwa weil dann die Behandlung von Symptomen des Patienten, die nicht mit dem genetischen Defekt zusammenhängen, zielgerichteter vor sich gehen könne, oder weil  sich Angehörige von Patienten mit neu gefundenen seltenen Erkrankungen vernetzen könnten.

Richard Frackowiak, Leiter der Klinischen Neurowissenschaften an der Universität Lausanne, stellte die hehren Ziele vor, die das von der EU als Flaggschiff-Projekt über zehn Jahre mit einer Milliarde Euro finanzierte „Human Brain Project“ verfolgt. Noch gebe es keine geschlossene Theorie der Funktionsweise des Gehirns, durch die unüberschaubare Fülle an Daten, die zu den verschiedenen Organisationsebenen dieses Organs erzeugt werden, geordnet werden könnte. Das Projekt wolle hier durch Simulation der Kognitionsprozesse mithilfe von Supercomputern vorankommen, um ein Modell in einem „Bottom-up-Ansatz“ zu entwerfen.

Aus der Welt von „Big Data“ kam auch der dritte Vortragende, John Quackenbush, Professor für Computational Biology in Harvard. Mit der Rechenkapazität heutiger Computernetze stünden wertvolle Werkzeuge zur Verfügung, um die vielfältigen Daten, die das Gesundheitssystem heute erzeuge, auch zielgereichtet nutzen zu können.

 

Noch viele Fragen offen

Während die einen enthusiastisch auf die mit diesen Entwicklungsfronten verbundenen Chancen blicken (Pharmig-Präsident Robin Rumler meinte etwa, man solle nicht die Sorge zum Diktator machen), schlägt ihnen von den anderen ein gerüttelt Maß an Skepsis entgegen. Werde der Arzt der Zukunft ein IT-Experte sein, der aus Datenbanken die für den einzelnen Fall relevante Information filtere, fragte etwa Ursula Schmidt-Erfurth, Ophthalmologin und Vizepräsidentin des Forums Alpbach.

In der Tat sind noch viele Frage zu klären: Ist „Big Data“ Werkzeug eines selbstbestimmten Gesundheitsverhaltens oder Quelle für geschickte Manipulation? Bremst andererseits übertriebener Datenschutz die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems? Gibt es in der prädikativen Genetik noch ein Recht auf Nichtwissen? Wer trägt die Konsequenzen dafür, dass die Gene ungerecht verteilt sind? Und wie gehen wir mit neuen Erkenntnissen der Gehirnforschung um? Werden Personen künftig gehirnphysiologisch kategorisiert und stigmatisiert oder steckt darin die Möglichkeit, die soziologisch bedeutsamsten Erkrankungen früh zu erkennen und vollständig zu heilen? Diese und ähnliche Fragen wurden  im Anschluss an die Plenarvorträge der Gesundheitsgespräche in Kleingruppen diskutiert – was vielfach auch vor Augen führte, dass eine gemeinsame Sprache im interdisziplinären Dialog erst gefunden werden muss.