wissenschaft & forschung chemiereport.at austrianlifesciences 2017.3 67 der autor gero miesenböck ist ein aus österreich stam- mender neurophysiologe und gilt als einer der mitbegründer der optogenetik. seit 2007 ist er professor für physiologie an der universität oxford und gründungsdirektor des centre for neural circuits and behaviour an dieser uni- versität. in der vergangenheit haben neurowis- senschaftler das gehirn vor allem be- obachtet, aber nicht damit „gespielt“. der grund dafür liegt in der enormen komplexität der nervensysteme. sogar das hirn der kleinen fruchtfliegen, mit denen wir arbeiten, enthält an die 100.000 nervenzellen und millionen von verbin- dungen zwischen diesen zellen. wo soll man aber in einem so undurchdringli- chen dickicht zu untersuchen beginnen? eines der frühesten und berühmtesten invasiven experimente steht am beginn der neurowissenschaften und stammt von luigi galvani. galvani berichtete 1791 darüber, wie er den schenkelnerv eines präparierten frosches durch elek- trische impulse erregte und dabei beob- achtete, dass der schenkel zuckte. dieses experiment hat erstmals unwiderlegbar gezeigt, dass elektrische impulse die trä- ger der information im gehirn sind und dass man die funktion des gehirns durch einführen von elektrischen impulsen steuern kann. allerdings hat das expe- riment von dem frosch nicht viel übrig gelassen. die unserem intelligenten ver- halten zugrunde liegenden neuronalen vorgänge wird man nur schwerlich ver- stehen, wenn man das ganze system aus- einandernehmen muss („bottom-up“-an- satz), um es untersuchen zu können. untersucht man die funktion von schaltkreisen mithilfe von elektroden, die man in einem „meer an erregbarem gewebe“ platziert, so zeigen sich viele schwachstellen. erstens stochert man ziemlich blind herum. man weiß oft nicht, was sich unter der stimulierten stelle beindet, was also genau stimuliert wird. für die zahl der elektroden, die man gleichzeitig verwenden kann, gibt es eine physikalische grenze – bestenfalls wird man eine handvoll stellen steuern kön- nen. man geht heute davon aus, dass die „rechenleistung“ des gehirns auf paral- lelgeschalteten prozessen vieler nerven- zellverbände beruht. diese über verschie- dene hirnregionen verteilten systeme gleichzeitig zu kontrollieren, erscheint praktisch unmöglich. ein wesentlicher nachteil ist, dass die spezifität des sti- mulus einzig darauf beruht, wo die elek- trode sitzt. wenn sich diese position experimentell bedingt verschiebt, ändert sich natürlich die art des einlusses. das macht untersuchungen an tieren, die sich frei bewegen können, sehr schwierig. ein massives problem ist auch, dass die ver- suchsanordnung keine biologische spezi- ität ermöglicht. das heißt, man kann sich nicht aussuchen, zu welcher bestimmten klasse von neuronen man „spricht“. man weiß nicht einmal, wie weit das signal reicht, wie viele zellen in der umgebung aktiviert werden. die optogenetik hat diese schwierig- keiten überwunden: anstatt ein signal exakt zu positionieren, versucht man deinierte nervenzellen durch genetische manipulation für eine stimulation sensi- bilisierbar zu machen. fernsteuerung von zellen mittels licht zwei bestandteile – gene und photo- nen – haben dem gebiet den namen opto- genetik gegeben. allerdings nicht ganz zutreffend, da wir ja eigentlich nicht die funktion von genen kontrollieren, son- dern die funktion von deren genproduk- ten, also von proteinen, die in den betref- fenden zellen erzeugt werden. die nervenzellen des gehirns besit- zen unterschiedliche genetische signa- turen – unterschiedliche expressions- muster einer gruppe von genen, die für bestimmte zellpopulationen charakteris- tisch sind. die optogenetik bedient sich nun dieser signaturen und spricht selek- tiv nervenzellen an, die ein markergen einer solchen signatur exprimieren. mit molekularbiologischen methoden werden in derartige zellen dann ionenkanäle ein- gefügt, die den kanälen ähnlich sind, die allen elektrischen signalen in unserem nervensystem zugrunde liegen, mit einer wichtigen ausnahme: die kanäle sind an photorezeptoren gekoppelt. trifft licht auf einen solchen rezeptor, so verändert er seine gestalt, die formänderung über- trägt sich auf die pore des ionenkanals und diese öffnet sich: ein schwacher elek- trischer strom ließt, und das neuron feu- ert ein elektrisches signal. mittels optischer fernsteuerung las- sen sich so nachrichten an zellpopula- tionen senden und lesen, auch wenn die zellen im nervensystem weit voneinan- der entfernt liegen und sich deren positi- onen verändern, wenn sich ein versuchs- tier bewegt. die zellen „wissen“ ja, dass sie selbst die zielobjekte der stimulation sind; sie decodieren die signale und wan- deln sie in elektrische energie um. drei neue zugänge eröffnet optogenetik öffnet drei bisher ver- sperrte experimentelle zugänge zum ver- ständnis des gehirns: zum ersten macht es die optogenetik möglich, die ursachen festzustellen, die intelligentem verhalten zugrunde liegen. in der biologie gilt die rekonstitution eines systems häufig als strengster beweis einer kausalität. will man als biochemiker demonstrieren, dass ein bestimmtes molekül kausal in einen bestimmten prozess involviert ist, so stellt man dieses molekül rein her, fügt es dem testsystem hinzu und beobachtet, ob man so den prozess ablaufen lassen kann. die optogenetik ist für den neurobiologen das äquivalent der rekonstitution. opto- genetik erlaubt es – metaphorisch gespro- chen – erregungsmuster, die normaler- weise lebensvorgängen zugrunde liegen, „rein darzustellen“, sie ins hirn zurück- zuspielen und zu sehen, ob man auf diese weise wahrnehmung, handeln, emotion, gedanken und gedächtnis rekonstruieren kann. gelingt dies, kann man plausibel argumentieren, die unseren verhaltens- weisen zugrunde liegenden informations- muster verstanden zu haben. ein zweiter bisher verschlossener zugang befähigt uns, verbindungen zwi- schen den neuronen zu kartografieren – eine voraussetzung für die entschlüs- selung der schaltkreise im gehirn. die klassische methode, nach verknüpften partnern mittels zweier einzeln plat- zierter elektroden zu suchen, ist äußerst mühsam, die wahrscheinlichkeit solche zellen aufzuinden sehr gering. wird nun eine der elektroden durch einen licht- strahl ersetzt, der über das gewebe rastert und – wann immer er auf einen verbun- denen partner trifft – einen impuls aus- löst, so werden durchsatz und speziität der suche um größenordnungen erhöht. der dritte zugang, den wir mithilfe der optogenetik öffnen konnten, ermöglicht die suche nach neuronalen mechanis- men. wenn man eine idee hat, wie ein neuronales system arbeiten könnte, dann kann eine gezielte manipulation des sys- tems zeigen, ob man recht oder unrecht hat. diese drei fortschritte sollen anhand eines beispiels aus unserer forschung erläutert werden. die neuronale steuerung des schlafes schlaf ist eines der großen biologischen rätsel. hätte die evolution ein tier her- vorgebracht, das ohne schlaf auskommt, würde es alle anderen übertreffen: wäh- rend die anderen schlafen, könnte es jede ressource aufstöbern und feinde außer gefecht setzten. die tatsache, dass es kein derartiges tier gibt, sagt uns, dass schlaf etwas lebenswichtiges ist. was dieses lebenswichtige etwas ist, wissen wir