14 MÄRKTE & MANAGEMENT chemiereport.at AustrianLifeSciences 2021.5 Da man sehr präzise zu arbeiten wusste, entstand ein Kontakt mit Otto Kratky, was den Einstieg in die Welt der wissenschaft- lichen Messgeräte bedeutete. „Die SAXS-Technologie ist heute noch Teil des Portfolios von Anton Paar, aber es ist ein sehr über- schaubarer Markt mit weltweit vielleicht 60 bis 70 Kunden pro Jahr“, stellt Santner die Größenordnung ins rechte Licht. Den eigentlichen Durchbruch stellte ein Nebenprodukt der Zusam- menarbeit mit Kratky dar – ein Dichtemessgerät, bei dem die Dichte eines Stoffs über die Schwingungsfrequenz eines soge- nannten Biegeschwingers bestimmt wird, der mit diesem Stoff gefüllt ist. 1963 übernahm Platzers Schwieger- sohn Ulrich Santner die Geschäftsfüh- rung und baute die Verbindung mit der universitären Wissenschaft stark aus. „Ulrich Santner hat sich sehr für die For- schung interessiert und war ein leiden- schaftlicher Tüftler“, erzählt der heutige CEO über seinen Schwiegervater. Drei Viertel des Umsatzes seien damals mit Produkten gemacht worden, die an einer Uni entwickelt wurden. Nicht alles wurde ein Erfolg: „Da waren auch Geräte dabei, die nur die Nische einer Nische einer Nische darstellten. Gottsei- dank gab es einige Messprinzipien, wie die Dichtemessung, die sehr erfolgreich waren.“ Mit Patenten wie diesem konnte man die weitere Entwicklung finanzieren. Von der Präzisionsschlosserei zum Weltmarktführer „Als ich die Führung übernommen habe, war es notwendig, das Portfolio zu bereinigen. Wir haben uns damals auf wenige Bereiche konzentriert“, sagt Friedrich Santner. Er baute die Ei- genmarke aus und nahm den Vertrieb selbst in die Hand. Zudem wurde begonnen, eine eigene Produktentwicklung aufzubauen. „Die Dynamik des Marktes und die der akademischen Forschung sind sehr verschieden. Wir betreiben auch Forschung, aber an der Schnittstelle zur Entwicklung marktfähiger Produkte. Dazu bedarf es einer ganz anderen Denkweise“, zeigt Santner auf. Seit Santner 1997 in die Geschäftsführung von Anton Paar ein- stieg, hat sich die Struktur des Unternehmens radikal gewandelt. Erzielte man im Jahr 2000 mit 340 Mitarbeitern einen Umsatz von 34 Millionen Euro, betrug der Mitarbeiterstand 2020 rund 3.400 und die Erlöse 387 Millionen Euro. Der Anteil des Umsat- zes, der mit Produkten erzielt wird, die nicht im Haus entwickelt wurden, liegt mittlerweile nur mehr bei ein bis zwei Prozent. Forschung und Entwicklung sind, so Santners Erfahrung, auch innerhalb eines Unternehmens wie Anton Paar zwei sehr unter- schiedliche Aktivitäten: „Je mehr eine Aufgabe dem Bereich der Forschung angehört ist, desto mehr kreativer Freiraum ist er- forderlich. Je mehr es um die Entwicklung von Produkten geht, desto wichtiger sind klare Leitlinien, ein sauberes Pflichtenheft und ein sauberer Projekt- und Zeitplan.“ Die Kunst sei, beide Sei- ten miteinander zu verbinden. Ein wichtiger Motivationsfaktor sei dabei auch, die bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung zu stellen, wie Santner betont: „Mit zweitklassigen Hilfsmitteln las- sen sich keine Spitzenleistungen erzielen.“ Für die Erweiterung des Portfolios bis zu jener Breite, mit der Anton Paar heute auf dem Markt vertreten ist, gab es zwei Wege: „Wir haben uns gefragt, was man mit der Technik, die wir schon beherrschen, noch anfangen kann. Und wir haben uns angese- hen, was die Kunden, die wir damit bedienen, noch brauchen würden“, sagt Santner. Er erinnert sich etwa an einen Besuch bei einem Getränkehersteller, der einer der größten Kunden gewor- den ist: „Wir haben gesehen, dass die dringend ein Instrument zur Messung von CO2 brauchen. Also haben wir das entwickelt.“ „Ein Alleinstellungs- merkmal ist umso leichter zu erzielen, je schwieriger die Herausforderung ist.“ Friedrich Santner Ein Beispiel für die erste Vorgehensweise ist die Dichtemessung. Man konnte das gleiche Messprinzip in einer Vielzahl von An- wendungen und Gerätetypen verwenden: vom einfachen Hand- messgerät über die Bestimmung des Zuckergehalts in der Ge- tränkeindustrie bis hin zum hochpräzisen Instrument für den Alkoholgehalt in destillierten Produkten. Das Wachstum des Unternehmens hat zu Zeiten auch erhebli- che Herausforderungen mit sich gebracht: „Wenn sie sehr rasch wachsen, müssen Leute rekrutiert und integriert werden. Das Problem ist dann aber, dass das jene Mit- arbeiter machen sollen, die ohnehin schon zu viel Arbeit haben“, erinnert sich Sant- ner zurück. Für diejenigen, die schon län- ger dabei waren, bedeutete das eine starke Umgewöhnung. Dennoch sei es über die Jahre gelungen, die Fluktuation gering zu halten: „Die Leute bleiben lange.“ Teil des langfristigen Aufbaus war die kontinuier- liche Schulung der Mitarbeiter, durch die es gelang, eine Reihe von Kernkompeten- zen aufzubauen, ohne die man die heutige Marktstellung nicht erreicht hätte – vor al- lem auch im Bereich der Fertigung. „Wir überlegen uns, wie wir ein Alleinstellungsmerkmal erzielen kön- nen. Das ist umso leichter, je schwieriger die Herausforderung ist“, meint Santner. Für bestimmte Geräte wird in der mechani- schen Fertigung von Anton Paar eine Präzision von 0,25 Mikro- metern benötigt. Fachkräfte der erforderlichen Qualität sind auf dem Arbeitsmarkt aber nicht leicht zu bekommen: „Wir müssen in Österreich aufpassen, dass wir Produktionsstätten nicht wegen des Facharbeitermangels verlieren. Wenn einmal die Produktion weg ist, zieht meist auch die F&E nach.“ Führung mit Wertebasis Anton Paar hat demgegenüber stets eine hohe Fertigungstiefe angestrebt: „Wir haben immer auf Insourcing, nicht auf Out- sourcing gesetzt.“ Der größte Produktionsstandort ist nach wie vor am Hauptsitz in Graz zu finden. „Ich habe das gemeinsam mit meinen Mitarbeitern aufgebaut, also tragen wir das auch weiterhin gemeinsam. Der Chef wird ja auch nicht nach China ausgelagert“, bemerkt Santner nicht ohne Hintersinn. Das hat auch mit der Wertebasis der Unternehmerfamilie zu tun: „Die Prinzipien der christlichen Soziallehre waren immer die Grund- lage von Management-Entscheidungen“, bekennt Santner. Be- sonders den Grundsatz der Subsidiarität hält der Manager für äußerst wertvoll: „Jeder soll an Entscheidungen teilhaben. Nur wenn er sie nicht selbst treffen kann oder zwei Mitarbeiter sich nicht einigen, wird auf höherer Ebene entschieden.“ Vorausset- zung für einen solchen Führungsstil ist ein wertschätzender Um- gang mit den Mitarbeitern: „Wenn Sie Menschen nicht mögen, ist es schwierig zu managen“, ist Santners Überzeugung. Dem entspricht auch, dass die Familie das Eigentum von An- ton Paar an eine gemeinnützige Stiftung übertragen hat. Der Stif- tungszweck ist ein zweifacher: Einerseits sollen Forschung und technische Entwicklung gefördert werden. Andererseits werden Einrichtungen begünstigt, die sich mit Prävention und Therapie von Suchterkrankungen beschäftigen. Als Vision für die Zukunft sieht Santner die Erweiterung des derzeit stark europabasierten Geschäfts auf andere Regionen: „Wir haben dafür vor allem den Dollarraum im Auge, wo wir mit Quantachrome bereits ein Un- ternehmen erworben haben, das selbst Analysegeräte herstellt.“ Offen sei, ob man auch die „Emerging Markets“ in Asien stärker bearbeiten will. Um das geografische Risiko abzupuffern, wäre es für Santner wünschenswert, auch dort ein Unternehmen zu erwerben, das selbst produzierend tätig ist.